Mitten im vibrierenden Stadtgefüge Mailands, entsteht derzeit ein Gebäude, das in vielerlei Hinsicht neue Maßstäbe setzt – nicht zuletzt in puncto Solartechnologie. CityWave, das jüngste Projekt im Rahmen der großangelegten Stadterneuerung „CityLife“, will nicht nur Räume für Arbeit und Begegnung schaffen, sondern ein starkes, architektonisch wie ökologisch aufgeladenes Zeichen setzen. Das spektakuläre Gebäudeensemble mit seinem ikonischen Wellen-Dach stammt vom international renommierten Architekturbüro BIG – Bjarke Ingels Group, die technische Umsetzung der anspruchsvollen Tragstruktur verantwortet Holzner & Bertagnolli Engineering.

Im Mittelpunkt dieses Projekts steht jedoch nicht allein seine Form – sondern die Kraft der Sonne, konsequent eingefangen durch eine der größten urbanen Photovoltaikanlagen Italiens.

Das Solardach als Leitmotiv

Wer sich dem Gelände nähert, erkennt sofort: Hier geht es nicht um ein klassisches PV-Modulfeld, das aufs Dach montiert wurde – hier ist die Solartechnologie architektonisches Leitmotiv. Das sogenannte „Canopy“ – eine 140 Meter lange, geschwungene Dachkonstruktion, die zwei Baukörper elegant miteinander verbindet – ist vollständig mit Solarzellen verkleidet.

Die Photovoltaikanlage ist integraler Bestandteil der Gebäudegestaltung: Jede Zelle wurde speziell auf Maß gefertigt, angepasst an die komplexe Geometrie des Daches. Dabei handelt es sich um Glas-Glas-Module, die nicht nur hohe Energieausbeute liefern, sondern auch optisch mit dem wellenförmigen Design verschmelzen.

Mit einer Fläche von rund 11.000 Quadratmetern zählt die Anlage laut Projektbeteiligten zu den größten ihrer Art im urbanen Raum Italiens. Die installierte Leistung liegt bei rund 2 Megawatt, was einer jährlichen Stromproduktion von etwa 1.200 Megawattstunden entspricht.

Das reicht aus, um rund 45 Prozent des gesamten Energiebedarfs des Gebäudes zu decken – ein Wert, der sich im Kontext konventioneller Büro- und Gewerbeimmobilien deutlich abhebt.

Technik trifft Ästhetik

Was die Anlage so besonders macht, ist ihre Verschmelzung mit dem architektonischen Ausdruck. Die Solarziegel sind nicht aufgesetzt, sondern bilden eine einheitliche Haut. Der Entwurf vermeidet den Eindruck technischer Nachrüstung – im Gegenteil: Die Solararchitektur wird hier zur emotionalen Signatur eines neuen Bauverständnisses.

Bjarke Ingels, Gründer des Architekturbüros BIG, sagte im Rahmen der Projektvorstellung, dass man mit dem Canopy nicht nur eine funktionale Überdachung realisieren wollte, sondern ein „städtisches Kraftwerk“, das Energieproduktion, Schutz und Symbolik in einem bietet. Der Entwurf verfolge die Idee, „Ästhetik nicht gegen Effizienz auszuspielen, sondern beides zu vereinen“.

Auch das Tragwerk selbst ist ein Statement für nachhaltige Materialwahl. Das Canopy ruht auf einer innovativen Konstruktion aus CLT-Platten (Brettsperrholz), die in fünf Lagen übereinandergeschichtet wurden. Die massive Holzkonstruktion trägt nicht nur das Gewicht der Solarzellen, sondern fungiert gleichzeitig als aussteifendes Element in einer doppelt gekrümmten Geometrie – ein Kunststück der Ingenieurtechnik.

Eine Herausforderung für Statik und Klima

„Mit dem Canopy – so Oswald Holzner, geschäftsführender Partner von Holzner & Bertagnolli – haben wir die traditionellen Grenzen des Ingenieurwesens überschritten und gezeigt, dass Forschung, Technologie und Vision einzigartige Lösungen hervorbringen können.“

Die besondere Form erforderte laut Unternehmen den Einsatz hochpräziser Simulationen und Realversuche, um die Wirkung von Wind, Lasten und Temperaturspannungen exakt zu prognostizieren. In mehreren internationalen Windkanaltests – unter anderem am Politecnico di Milano – wurde das Verhalten der Solarkonstruktion bei Extremereignissen überprüft. Ergebnis: Die Anlage bleibt auch unter außergewöhnlichen Bedingungen stabil.

Damit die Energieausbeute nicht durch Verschattungen, Winkelverzerrungen oder Materialermüdung leidet, wurde das Dachsystem mit einer Neigungsvariation zwischen 25° und 55° konzipiert. Diese katenarische Krümmung maximiert die Sonneneinstrahlung zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten und sorgt zugleich für natürliche Entwässerung.

Zusätzliche Herausforderungen, wie etwa die statische Beanspruchung durch Seilzugkräfte, wurden durch Vorspannsysteme im Betonkern der Dachflächen abgefangen.

Mehr als Solar: das System dahinter

So eindrucksvoll die Solaranlage ist – sie steht nicht allein. CityWave folgt einem ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz.

Neben der PV-Erzeugung nutzt das Gebäude ein thermisches Grundwassersystem zur Heiz- und Kühlenergieversorgung. Dabei wird Wasser aus tieferliegenden Schichten entnommen, energetisch genutzt und wieder rückgeführt – ein effizienter und nahezu emissionsfreier Kreislauf.

Auch das Regenwassermanagement wurde architektonisch mitgedacht: Das Dach sammelt Niederschlagswasser, das in Zisternen gespeichert und für die Gebäudetechnik sowie die Pflege der Grünflächen eingesetzt wird.

In Summe ergibt sich ein Energiekonzept, das laut Projektverantwortlichen jährlich über 500 Tonnen CO₂ einspart – und das nicht durch Einzelmaßnahmen, sondern durch das Zusammenspiel vieler Systeme.

Urbane Solarstrategie mit Vorbildwirkung

CityWave zeigt: Photovoltaik muss nicht als technischer Fremdkörper wahrgenommen werden – sie kann integrativer Bestandteil moderner Architektur sein. Das Projekt setzt Maßstäbe für eine urbane Energiezukunft, bei der Design, Funktion und Klimaschutz in Einklang stehen.

Dass dieser Ansatz international Beachtung findet, zeigen auch die erhaltenen Vorzertifikate: LEED Platinum, WELL v2 und WiredScore Platinum dokumentieren, dass hier nicht nur an das Heute gedacht wurde – sondern an eine belastbare, digital vernetzte und klimagerechte Zukunft.

Fazit: Solarenergie als architektonische Geste

CityWave in Mailand ist ein Leuchtturmprojekt für gebäudeintegrierte Photovoltaik im urbanen Maßstab. Mit seinem weitgespannten Solardach zeigt es, dass ästhetischer Anspruch und technologische Effizienz sich nicht ausschließen – sondern gegenseitig beflügeln können. Die Zusammenarbeit zwischen Bjarke Ingels, Claudio Bertagnolli, Oswald Holzner und dem Ingenieurteam von Holzner & Bertagnolli beweist eindrucksvoll, was möglich ist, wenn Architektur und Technik von Anfang an zusammengedacht werden.

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